Cannabis-Freigabe? »Kann alles so nicht funktionieren!«
Main-Echo Pressespiegel

Cannabis-Freigabe? »Kann alles so nicht funktionieren!«

Joachim Herrmann: Bayerns Innenminister im exklusiven Main-Echo-Gespräch über den Umgang mit dem Kiffen im Freistaat und seinen Blick auf Demokratieverächter
SCHÖLLKRIPPEN  Von Mü­dig­keit kei­ne Spur: Bay­erns In­nen­mi­nis­ter Joa­chim Herr­mann mag mit 67 Le­bens­jah­ren im ge­setz­li­chen Ren­te­nal­ter an­ge­kom­men sein, aber selbst ge­gen 21.30 Uhr ant­wor­tet der Mit­tel­fran­ke nach ei­ner lan­gen Wo­che am Frei­ta­g­a­bend im ex­k­lu­si­ven In­ter­view mit dem Me­di­en­haus Main-Echo fo­kus­siert und kon­zen­triert.

Am Ende der Premiere des politischen Starkbieranstichs der CSU in Schöllkrippen (Kreis Aschaffenburg) stellt er sich unseren Fragen zu einer zeitgemäßen Drogenpolitik oder zur Abschiebepraxis bei arbeitenden Flüchtlingen - und profitiert dabei davon, dass er am »leckeren Bier« (Herrmann) an diesem Abend nur wenige Male genippt hat.

Was halten Sie von der Idee einer drogenfreien Gesellschaft?

Wir müssen bei Drogen immer deren Gefährlichkeit beurteilen. Ich habe großen Respekt vor allen Menschen, die drogenfrei leben. Wir haben in unserer Gesellschaft Probleme mit Rauschgift, manche haben auch Probleme mit Alkohol. In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, für die Gefahren von Drogen grundsätzlich zu sensibilisieren und deren Verbreitung insgesamt einzudämmen. Wir haben es geschafft, dass sich die allermeisten Menschen verantwortungsvoll verhalten - es gibt aber leider auch Ausnahmen.

Sie bezeichnen die von der Ampel jetzt beschlossene Teil-Legalisierung des Cannabis-Konsums als »völlig falsch« - was ist ihr größtes Problem mit dem Gesetz?

Ein wichtiges Ziel der Ampel-Koalition ist es, mit diesem Gesetz die Kriminalität zu reduzieren. Durch die Legalisierung gebe es weniger Probleme. Genau denselben Weg wollte man in den Niederlanden schon vor vielen Jahren gehen. Dort sieht man heute, dass genau das Gegenteil stimmt: Die Auseinandersetzungen mit und innerhalb der organisierten Kriminalität sind heftiger, gewalttätiger, brutaler geworden. Ich halte das Ziel einer Kriminalitätsreduktion für legitim und wünschenswert. Die Erfahrungen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft zeigen aber, dass es nicht durch Freigaben funktioniert.

Widersprechen Sie, dass die bisherige Verbots- und Repressionspolitik im Fall von Cannabis wenig wirksam war?

Ich halte das Argument für wenig stichhaltig. Wenn man das ernst meint, braucht es auch keine Tempolimits mehr. Wir stellen jeden Tag bei unseren Radarkontrollen fest, dass es leider Menschen gibt, die sich nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten. Trotzdem wird keiner bestreiten, dass es sinnvoll ist, in Ortsdurchfahrten 50 oder 30 zu fahren und auf der Landstraße maximal 100. Es ist doch ganz offensichtlich unsinnig, dass wir Regeln abschaffen sollten, weil sich nicht jeder daran hält.

Also: Einfach weiter so wie bisher?

Ich stelle mich gerne jeder Diskussion, was wir besser machen können. Ein großes Thema sollte die Prävention sein. Ich spreche gerade mit Gesundheitsministerin Judith Gerlach intensiv darüber, wie wir die Präventionsangebote gegen den Drogenmissbrauch noch weiter ausbauen können. Dabei geht es nicht nur um Kriminalitätsbekämpfung, sondern vor allem um das Schicksal der einzelnen Menschen, die durch ihre Abhängigkeit zugrunde gehen. Freigaben sind aber sicher nicht der richtige Weg, um diesen Problemen wirksam zu begegnen. Dazu kommt auch noch, dass das Gesetz der Ampel viele Regelungen enthält, die überhaupt nicht praktikabel sind.

Was meinen Sie damit konkret?

Wie sollen Gesundheitsämter oder die Polizei sinnvoll die Begrenzung auf drei Pflanzen pro Erwachsenem in der eigenen Wohnung kontrollieren? Das ist doch komplett irreal. Oder die Abstände zu Schulen oder Kindergärten, die beim Cannabiskonsum einzuhalten sind - das ist eine nette Idee, die im echten Leben niemand wirksam überwachen kann. Oder das Problem der weiterführenden Schulen, wo man ab 18 Jahren Cannabis dabei haben darf, Jüngere aber nicht. Wie soll das an einem Gymnasium im Griff behalten werden? Solche Abgrenzungen widersprechen jeder Lebensrealität. Das kann doch alles nicht funktionieren.

Sie haben noch nicht eindeutig geantwortet: Bewerten Sie den bisherigen politischen und polizeilichen Umgang mit dem Kiffen im Allgemeinen und den Konsumenten im Konkreten in Bayern als Erfolg?

Ich will nichts beschönigen - und ohnehin bin ich jemand, der Reformen und neuen Ideen gegenüber stets offen ist. Aber eine Reform sollte wenigstens einigermaßen offensichtliche Verbesserungen bringen. Ich will nicht behaupten, dass das bisher alles ideal war. Aber ich kann nicht erkennen, dass durch dieses Gesetz irgendetwas besser werden könnte.

Also hat die Ampel alles falsch gemacht?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich will den Beteiligten in Berlin gar nicht die guten Absichten und den guten Willen absprechen. Ich glaube aber nicht, dass dieses Gesetz in die richtige Richtung führt - dafür ist es zu weit weg von der Realität, zu blauäugig.

Warum ist der Konsum von Cannabis bei Erwachsenen gefährlicher für unsere Gesellschaft als der Konsum von Nikotin oder Alkohol?

Wir haben den Konsum von Nikotin in der Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren massiv reduziert. Wir haben damit die Belästigung und die Gefahren für Nichtraucher eindämmen wollen - und das ist richtig so. Sie haben mit der Betonung der Situation für Erwachsene in Ihrer Frage genau den richtigen Punkt getroffen: In der medizinischen Fachwelt ist es jedenfalls unstrittig, dass der Konsum von Cannabis bei jungen Erwachsenen - und eben nicht nur bei Jugendlichen - massive Auswirkungen haben kann, weil unser Gehirn erst mit Mitte 20 ausgereift ist. Cannabis kann diese Entwicklung erheblich stören. Wenn wir diese einhelligen Warnungen aus der Wissenschaft ernst nehmen, ist eine Freigabe ab 18 unverantwortlich. Das können wir nicht hinnehmen

Ihre Partei hat angekündigt, alles zu versuchen, um auf Bundesebene das Gesetz noch zu stoppen - was plant die CSU?

Wir werden im Bundesrat dagegen stimmen - und versuchen, dass der Vermittlungsausschuss angerufen wird. Denn neben unseren inhaltlichen Bedenken gibt es auch in der Umsetzungspraxis erhebliche Probleme. Die vorgesehene Amnestie für zurückliegende Cannabis-Strafverfahren zwingt uns allein in Bayern, Tausende Akten neu anzufassen. Diese Rückwirkung ist weder notwendig noch sinnvoll - und sie überfordert die Justiz in allen Bundesländern, das zeigen die parteiübergreifenden Reaktionen auf diesen Teil des Gesetzes. Allein wegen der fehlenden Praktikabilität werden Bundesländer versuchen, das Gesetz zu stoppen. Darüber hinaus ist derzeit noch unklar, ob das Ampel-Gesetz überhaupt zu internationalen Rechtsnormen passt, die zur Bekämpfung der Rauschgift-Kriminalität festgelegt worden sind. Es würde mich deshalb nicht überraschen, wenn sich auch das Bundesverfassungsgericht oder der Europäische Gerichtshof mit den deutschen Legalisierungsplänen beschäftigen muss.

Sollte das Gesetz dennoch kommen, will man die Umsetzung »so restriktiv wie möglich« handhaben, heißt es aus Ihrer Partei. Was bedeutet das konkret, welche Rolle wird dabei die Polizei im Freistaat übernehmen?

Wir müssen konsequent kontrollieren, auch wenn es wie bereits angeführt in Teilbereichen extrem schwierig sein wird. Wir müssen natürlich weiterhin im Straßenverkehr darauf achten, dass die Einschränkung der Fahrfähigkeit durch den Konsum jeglicher Drogen aufgedeckt und bestraft wird. Man darf nicht bekifft sein, wenn man sich ans Steuer setzt. Das ist nicht immer so einfach wie beim Alkohol-Atemtest, aber da werden wir auch bei Cannabis dranbleiben.

Was haben Sie außerdem vor?

Wir werden beim Vertrieb von Cannabis sehr kritisch hinschauen und die Entwicklung genau beobachten. Ein wichtiger Punkt für uns ist die Frage, wie die organisierte Kriminalität reagieren wird. Leider zeigen Beispiele wie die Niederlande, dass diese Gruppen Mittel und Wege finden, ihren Platz im Rauschgiftmilieu zu verteidigen und durch das Umsteuern auf andere Drogen sogar noch auszubauen. Da wird unsere Kriminalpolizei mit aller Konsequenz, auch präventiv, zur Stelle sein.

Schauen wir auf ein weiteres innenpolitisches Konfliktthema: Sie haben das im Januar vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts als »großen Fehler« bezeichnet. Was spricht dagegen, wenn gut integrierte Einwanderer schneller als bisher üblich einen deutschen Pass erhalten können?

Wenn man die Verfahren insgesamt beschleunigt, habe ich nichts dagegen. Wenn aber beispielsweise in einer Vielzahl von Fällen die Ansprüche an die Deutschkenntnisse durch eine lange Liste von Ausnahmen reduziert werden sollen, dann leuchtet mir das überhaupt nicht ein. Wer den deutschen Pass haben will, muss im Regelfall unsere Sprache sprechen - von wenigen begründeten Ausnahmen abgesehen. Wer das nicht kann, bei dem hat irgendetwas mit der Integration nicht funktioniert. Dann muss man auch nicht den deutschen Pass bekommen.

Für Aufsehen sorgte vor wenigen Tagen in Bayern der Fall eines Pflegehelfers aus dem Kongo, der abgeschoben werden sollte. Unabhängig vom Einzelfall, in dem Sie die Abschiebung stoppten: Es drängt sich der grundsätzliche Eindruck auf, dass im Arbeitsleben stehende Zuwanderer besonders hart angefasst werden, weil sie bequem zu finden sind. Ist das nicht widersinnig?

Das stimmt so nicht, das ist nicht der Fall. Wir haben eine klare Linie für den Regelfall: Wenn keine Straftaten begangen worden sind, die Identität mit Hilfe offizieller Papiere geklärt ist und wenn derjenige von seiner eigenen Hände Arbeit leben kann - dann sehen wir von einer Abschiebung ab. Wir sind schließlich in einer Situation, dass viele Unternehmen händeringend Mitarbeiter suchen. Das gilt in der Pflege, aber auch in vielen anderen Branchen, bei großen Firmen und bei Handwerkern. Wenn einer demonstriert, dass er da gut mitmacht, dann ist das genau richtig so.

Sie haben in Ihrer Rede beim Starkbieranstich in Schöllkrippen alle Zuhörer dazu aufgefordert, konsequent für die Demokratie hierzulande einzutreten. Was können Bürgerinnen und Bürger konkret tun?

Da gibt es viele Möglichkeiten: Wer wertvolle Ehrenämter in Feuerwehren oder Hilfsorganisationen ausübt, tut etwas für dieses Land und sorgt dafür, dass die Menschen sicher leben können. Das ist ein Beispiel für einen Beitrag, damit unsere Gesellschaft funktioniert. Das gilt auch für das Engagement in Sportvereinen oder sozialen Organisationen. Natürlich gehört es auch dazu, sich mit Kritik in Debatten einzumischen - noch besser ist es aber, wenn man sich konkret an der Lösung von Problemen im eigenen Umfeld beteiligt, zum Beispiel durch das Mittun in einer demokratischen politischen Partei.

Was braucht es noch, um unsere freiheitliche, tolerante Gesellschaft zu schützen?

Wenn unsere Demokratie und unsere Republik komplett schlechtgemacht und in Frage gestellt werden, weil alles angeblich nur noch Mist hier ist, dann sollte man klar widersprechen - auch am Stammtisch. All das Großartige, was die Menschen hierzulande geschaffen haben, das haben wir mit dieser Demokratie geschafft. Wenn jetzt wieder Leute nach dem einen großen starken Mann rufen, wenn Putin oder Erdogan verherrlicht werden, dann muss man dem entgegentreten, egal wo es auftaucht. Demokratie ist anstrengend, der Meinungsstreit fordert uns - aber wir dürfen unsere Lebensleistungen, die in dieser Demokratie möglich waren und sind, nicht von irgendwelchen rechts- oder linksradikalen Idioten kaputtreden und kaputtmachen lassen.

MARTIN SCHWARZKOPF
Hintergrund

» Wenn Putin oder Erdogan verherrlicht werden, muss man dem entgegentreten. «

Joachim Herrmannüber Demokratie-Schutz

Hintergrund

» Ich will nicht behaupten,

dass das bisher

alles ideal war. «

Joachim Herrmann zum Umgang mit Cannabis

Hintergrund: Die Folgen einen entgleisten Alkoholkonsum

In der Debatte um eine Cannabis-Legalisierung wird immer wieder darauf verwiesen, dass auch legale Drogen erhebliche gesundheitliche und wirtschaftliche Folgen haben können. Das Bundesgesundheitsministerium präsentiert seit vielen Jahren (und unter Ministern aus Union und SPD) zum Beispiel Zahlen zu den Risiken eines entgleisten Alkoholkonsums: 7,9 Millionen Menschen der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung in Deutschland konsumieren laut einer Studie aus dem Jahr 2021 Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Ein problematischer Alkoholkonsum liegt bei etwa weiteren 9 Millionen Personen dieser Altersgruppe vor. Zehntausende Menschen sterben laut Bundesgesundheitsministerium jährlich an einer ausschließlich auf Alkohol zurückzuführenden Todesursache.

Durchschnittlich werden pro Kopf der Bevölkerung jährlich rund zehn Liter reinen Alkohols konsumiert. Gegenüber den Vorjahren sei eine leicht rückläufige Tendenz im Alkoholkonsum zu registrieren, heißt es auf der Website des Ministeriums. Dennoch liege Deutschland im internationalen Vergleich unverändert im oberen Drittel.

Die durch Alkoholkonsum verursachten volkswirtschaftlichen Kosten betragen nach diesen Angaben rund 57 Milliarden Euro pro Jahr. Als Quelle hierfür wird vom Ministerium das Jahrbuch Sucht 2023 angegeben. (msc)

03.03.2024
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