Der moderne Nostalgiker
Main-Echo Pressespiegel

Der moderne Nostalgiker

»Gute Geister in der Region«: Hubert Kilgenstein brennt schon seit über 60 Jahren Schnaps in Sommerkahl
Sommerkahl  Ihn dürf­te so ziem­lich je­der ken­nen, der mit der Schnaps­b­ren­ne­rei et­was am Hut hat. Denn er steht seit über 60 Jah­ren an der Brenn­bla­se. Und er hat ei­ni­gen Jün­ge­ren in der Bran­che das ABC des De­s­til­lie­rens bei­ge­bracht. 76 Jah­re alt sucht der ge­bür­ti­ge Som­mer­kah­ler aber nun je­man­den, der das Kom­man­do an der Brenn­bla­se über­nimmt. Und ja: Es se­he auch so aus, sagt er, als ha­be er ei­ne Nach­fol­ge­rin für sei­ne Hir­schen­b­ren­ne­rei ge­fun­den.

So ganz leicht fällt ihm der Abschied aber nicht. Der Verkaufsraum in Sommerkahl mutet an wie eine gute Stube. Vollgepackt mit Nostalgie. Da ist die Reservistenpfeife, die sein Großvater einst geraucht habe. Und auch Opas Zylinder ist da. Zu kirchlichen Prozessionen habe der ihn getragen, weiß Kilgenstein. Er erinnert sich ebenso an die Revierförster Zöller, Roth und Hefter, die ihre Treibjagden in der Probierstube der Brennererei feucht-fröhlich begossen hätten.

All das trug sich zu, als Kilgenstein noch ein kleiner Junge war. So ist er nicht nur mit, sondern gewissermaßen auch in der schon seit 1885 in Sommerkahl befindlichen Brennerei groß geworden. Zumal sie dort stand, wo seine Großeltern ihre Brötchen verdienten: Unmittelbar neben dem Gasthaus Zum Hirschen mit dazugehöriger Landwirtschaft. Ein traditionsreicher Betrieb, der dem Main-Echo-Archiv zufolge auf das Jahr 1874 zurückgeht. Und der seitdem bis zu seinem Verkauf auch ein Familienbetrieb war, obwohl sich die Nachnamen der jeweiligen Eigentümer änderten: von Kunzmann , über Fleckenstein, Parr bis hin zu Kilgenstein.

Im zarten Alter von 15 Jahren, erzählt Kilgenstein, habe er schon vom Großvater Eugen Parr die Hirschenbrennerei übernommen, nachdem sein Vater keine Zeit dafür gehabt habe. Später sei er gemeinsam mit seiner Frau auch in die Gast- und Landwirtschaft eingestiegen, die seine Eltern seit 1959 geführt hätten. 1993 hat Kilgenstein die Gastronomie an seinen Sohn Markus weitergegeben. Das traditionsreiche Lokal gibt es jedoch heute nicht mehr. Wenige Jahre nach dem frühen Tod seines Sohnes 2017 verkaufte Kilgenstein das Anwesen.

Trotz seines relativ hohen Alters ist Hubert Kilgenstein was die Kunst des Destillierens betrifft niemals stehen geblieben. Nicht nur, dass er die Brennanlage immer wieder modernisierte. Er hat sich auch neuen Strömungen nie verschlossen. So sind es längst nicht mehr nur Kern- und Steinobstbrände, die aus der Brennblase fließen. Whisky und Gin, die beiden Mode-Destillate, hat er längst im Repertoire. Auf seinen Whisky ist der Gast- und Landwirt a.D. spürbar stolz. Dass Kilgenstein mit der Zeit geht, zeigt auch, dass ein Event wie das heutzutage vielerorts übliche Schaubrennen für ihr kein Fremdwort ist.

Hubert Kilgenstein ist froh, dass die Hirschenbrennerei weitergeführt wird. Immerhin ist sie in gewisser Weise ein Kuriosum in Sommerkahl. Weil sie sich an einer Straße befindet, die es eigentlich in dem Ort gar nicht gibt: an der Schnapsallee. Das Straßenschild, erzählt Hubert Kilgenstein, habe er von einem Kunden geschenkt bekommen. Kurzerhand habe er es am Zugang zur Brennerei aufgestellt. Ein so besonderer Ort wie die Hirschenbrennerei es ist, verdient wohl auch eine ganz besondere Adresse.

Dem Fusel die Stirn bieten

Gut aufgestellt. Die hiesige Region kann sich sehen lassen, was die Kunst des Destillierens betrifft. 13 Schnapsbrenner haben haben wir in den vergangenen gut vier Monaten in der Main-Echo-Serie »Gute Geister in der Region« vorgestellt. Und damit längst nicht alle. Es gibt auch Brenner, die geradezu im Verborgenen arbeiten und nur in kleinen Mengen produzieren. Des Weiteren machen einige der hiesigen Winzer auch Brände und Geiste. Ganz zu schweigen von den vielen Produzenten in den angrenzenden Landkreisen Miltenberg und Main-Spessart.

Es ist eben so, dass besonders der Kahlgrund ein von Obstbäumen dominierter Landstrich ist. Und dort, wo viel Obst wächst, hat das Destillieren Tradition. Überall in Deutschland. Weil man es auf diese Art und Weise haltbar machen kann. In Gestalt von Destillaten.

Aber: All die herrlichen Geiste und Brände, die die Protagonisten der Branche in Flaschen zaubern, gäbe es in dieser Zahl, Vielfalt und Qualität nicht, würden sie nicht auch getrunken. Es hat eben nicht nur das Brennen Tradition, sondern auch der Genuss von Hochgeistigem. Zwar hat sich das Konsumverhalten insofern geändert, dass statt klassischer Obstbrände zunehmend Gin und Whisky die Hauptrolle spielen. Aber grundsätzlich ist die Lust auf Destillate ungebrochen.

Andere Genuss-Handwerker wären froh, wenn ihre Produkte sich auch so großer Nachfrage erfreuten. Aber die kulinarische Wirklichkeit spielt sich in anderen Food-Bereichen leider in Discountern ab. Während gleichzeitig handwerklich arbeitende Bäckerein und Metzgereien sukzessive verschwinden. Billig muss es sein, Qualität ist zweitrangig. Diese Erfahrung müssen leider auch vielfach Köche machen. Dass diese Degeneration des Geschmacks zum Stillstand oder gar in den Rückwärtsgang kommt, scheint unwahrscheinlich.

Da kann man den Brennern eigentlich nur wünschen, dass sie nicht auch noch Teil dieser Entwicklung werden und dem Discounter noch lange die Stirn bieten können.

Hintergrund: Die Hirschenbrennerei in Sommerkahl

Die Sommerkahler Hirschenbrennerei ist eine Abfindungsbrennerei. Das heißt: Jedes Brennen muss der Destillateur vorab dem Hauptzollamt melden. Hergestellt werden dürfen pro Jahr 300 Liter Reinakohol. Hubert Kilgenstein produziert ein Vielzahl verschiedener Brände, Geiste und Liköre - um die 40 verschiedene Sorten: Apfel, Birne, Mirabelle, Zwetschge, Pfirsich, Kirsche, Wal- und Haselnuss bin hin zu Gin und Whisky. Neben der Destille befindet sich ein Verkaufsraum, der an zwei Tagen in der Woche geöffnet ist. joff

30.12.2022
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