Die Kunst des Sechspfünders
Main-Echo Pressespiegel

Die Kunst des Sechspfünders

Handwerk: Wiesener Bäckerei Büdel schließt am 24. Dezember ihre Pforten - Ende einer langen Familientradition
Wiesen  Vie­le wer­den sie ver­mis­sen: die dop­pelt ge­ba­cke­nen Sechsp­fün­der-Sau­er­teig­bro­te mit der wür­zi­gen Krus­te, die zahl­rei­chen Bröt­chen-Va­ri­an­ten vom Rog­gen-Weck bis zum Korn­spitz, die Ku­chen aus He­fe- und Mür­be­teig und die Hör­ner­bröt­chen und Neu­jahrs­b­re­zel. Nicht zu­letzt der Plausch mit der Bä­cker­fa­mi­lie und ih­rem Per­so­nal wird feh­len. An Hei­li­g­a­bend, 24. De­zem­ber, öff­nen der Wie­se­ner Bä­cker Robert Bü­del und sei­ne Frau Chris­tel letzt­mals die Pfor­ten ih­rer Bä­cke­rei in der Haupt­stra­ße. Da­mit en­det ei­ne über 150-jäh­ri­ge Fa­mi­li­en­tra­di­ti­on.

Nicht nur Wiesener zählte die Bäckerei zu ihren Kunden, auch aus Frammersbach und den umliegenden Gemeinden deckten sich Berufstätige auf dem Weg zur Arbeit mit Backwaren ein, erzählt Christiana Büdel, die alle nur als Christel kennen. Selbst freitags und samstags seien Kunden aus dem Hessischen herübergefahren, »vor allem der Brote wegen«.

Wenn man mit Christel und Robert Büdel spricht, spürt man den Stolz, mit dem die beiden ihr Handwerk und die Bäckerei betrieben. Für die Kuchen sei stets Butter statt Margarine verwendet worden. Backhilfsmittel seien verpönt gewesen. Viel Wert habe man auf die Zutaten gelegt, sagt Christel Büdel. Die Kürbiskerne für die Brötchen etwa habe man extra aus der Steiermark bezogen. »Die Leute wussten das zu schätzen.«

1984 hatte Robert Büdel die Bäckerei von seinem Vater Alfred und dessen Frau Maria übernommen. Robert Büdel stand damals schon seit 1976 in der Backstube des Familienbetriebs. Seine Lehre hatte er Mitte der 1960-er Jahre in Aschaffenburg gemacht; es folgten Stationen unter anderem in Frammersbach und im Chiemgau. Die Familien-Chronik führt die Linie der Bäckerei bis ins Jahr 1848 zurück. Früher habe sich der Verkaufsraum, zu dem man über eine Außentreppe gelangte, im ersten Stock des Hauses in Höhe der Backstube befunden, erzählt Christel Büdel.

Als Robert Büdel vor 45 Jahren in die elterliche Bäckerei eintrat, waren die Zeiten andere. Die Angebotspalette war längst nicht so breit wie heute. Aber es gab dennoch herausfordernde Phasen. Vor Neujahr und Silvester mussten damals über 3700 Brötchen gebacken werden, erinnert sich Christel Büdel. Heute seien es 1000. »Damals wurde zwei Tage und Nächte durchgearbeitet.« Auch bei der Wiesener Kirb herrschte stets Hochbetrieb in der Backstube. An ausgelassenes Mitfeiern bei dem Dorffest war für die Bäckerfamilie wegen der Arbeit nicht zu denken.

Bei einem Gang durch die Backstube bleibt Robert Büdel an einem blassgelben Gerät stehen. Als »Zaubermaschine« kennen die Wiesener Kinder den Brötchen-Portionierer, der mit einem Hebeldruck zahlreiche Teig-Rohlinge aussticht. Die Besuche in Büdels Backstube waren für die Kinder ein Höhepunkt des Kindergartenalltags. »Hallo Herr Bäcker!« riefen sie ihm bis heute auf der Straße zu, erzählt Robert Büdel.

Eigentlich hätte der 1981 geborene Sohn Thomas die Bäckerei weiterführen sollen. Doch kurz, nachdem er 2017 die Bäckerei übernommen hatte, starb er 2018 im Alter von nur 36 Jahren an einem Herz-Kreislaufversagen. Ein schwerer Schicksalsschlag. »Er hatte so vielen Ideen«, erzählt Christel Büdel. Ein großes Porträtfoto im Aufenthaltsraum der Backstube erinnert an ihn.

Tochter Sabine habe sogar angeboten, eine Bäckerlehre zu machen. »Aber sie hatte damals schon einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen«, sagt Christel Büdel. »Dass sie den uns zuliebe aufgibt, wollten wir nicht.«

Robert und Christel Büdel führten die Bäckerei bis heute mit etwas verkürzten Öffnungszeiten alleine weiter, freitags unterstützt von einem Gesellen einer befreundeten Bäckerei, einer Verkäuferin und einer Aushilfe samstags. Man habe noch gehofft einen Nachfolger zu finden, so Christel Büdel. Vergeblich.

Der 71-jährige Robert Büdel hört aus Altersgründen auf. Bäcker ist ein körperlich fordernder Beruf. Der Arbeitsalltag habe für ihn um 3 Uhr morgens begonnen, manchmal sogar früher. Das Brot buk Robert Büdel zuletzt alleine. Einerseits ist er froh, dass die Arbeitslast bald vorbei ist und er sich im Ruhestand verstärkt seiner geliebten Volksmusik und Wanderungen mit Freunden widmen kann. »Es fällt dennoch schwer loszulassen«, sagt der Bäckermeister, der mit Leib und Seele Bäcker ist.

Vor wenigen Wochen ist der alte Brotschieber zerbrochen. Für die paar Tage einen neuen zu kaufen, widerstrebte Christel Büdel. Sie erinnerte sich an den noch intakten Brotschieber des Urgroßvaters. »Den hatten wir zum Glück aufgehoben.« Und so knüpft Robert Büdel an seinen letzten Arbeitstagen mit dem alten Handwerksgerät an die lange Backtradition der Familie an.

Auch in weiterer Hinsicht: In den letzten beiden Öffnungstagen wolle man das Sortiment herunterfahren und backen »wie früher«, sagt Christel Büdel. Erhältlich sind dann Backwaren nach altem Rezept, darunter auch die einst so beliebten geteilten Brötchen, die es bei Büdel schon lange nicht mehr gegeben hat.

Hintergrund: Weiter Backwaren in Wiesen

Auf frische Brote und Brötchen müssen die Wiesener auch weiterhin nicht verzichten. Der örtliche Dorfladen wird den Verkaufsraum anmieten, berichtet Christel Büdel. Wiesens Bürgermeister Willi Fleckenstein bestätigt: Ab 7. Januar verkauft der Wiesener Dorfladen im Verkaufsraum der Bäckerei Büdel montags bis samstags von 7 bis 10 Uhr Backwaren der Bäckerein Biebrich aus Westerngrund. Der Dorfladen, der in begrenztem Umfang auch Backwaren führt, habe selbst nicht die Kapazität dafür. »Für sechs Tage die Woche im Großsortiment reichen die Platzverhältnisse nicht.« Dafür habe man zusätzliches Personal eingestellt. Wer es bis 10 Uhr nicht schafft, kann es danach im Dorfladen versuchen. Dieser werde weiterhin ein kleines Sortiment an Backwaren anbieten. ab

17.12.2021
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