Die vielen Teile eines Mosaiks
Main-Echo Pressespiegel

Die vielen Teile eines Mosaiks

Wiesen: Seine Spaziergänge verbindet Bürgermeister Willi Fleckenstein mit einem Check des kleinen Spessartdorfs - Dabei hat er einen Blick für Details entwickelt
WIESEN  Von un­se­rem Re­dak­teur ALEX­AN­DER BRUCH­LOS»Wo et­was her­um­liegt, liegt bald noch mehr«, sagt der Wie­se­ner Bür­ger­meis­ter Wil­li Fle­cken­stein. Er bückt sich und klaubt ei­ne lee­re Zi­ga­ret­ten­pa­ckung vom Stra­ßen­rand. Ei­ne Tü­te für den Müll ha­be er im­mer da­bei, er­zählt er bei ei­nem Rund­gang an die­sem Herbst­mor­gen. Er habe es sich angewöhnt, bei seinen regelmäßigen Spaziergängen durch seine Gemeinde nach dem Rechten zu sehen, sagt er. Und fast immer wird er fündig.
Fleckenstein weiß: Es sind die vielen kleinen Dinge, die ein Ortsbild ausmachen und die sich wie ein Mosaik zusammenfügen. In der Regel verbinde er den Orts-Check mit seinem Sonntagsspaziergang, erzählt er. Im Alltag bleibe dafür keine Zeit. Für das Main-Echo macht er eine Ausnahme. Zwar ist das Bürgermeisteramt in Wiesen nur ein Ehrenamt, aber für ihn sei es ein Fulltime-Job.
Der Beruf bestimmt den Blick: Früher, als er noch einen Handwerksbetrieb leitete, habe er auf den Zustand der Dächer geachtet, so der Bürgermeister. Nun richtet sich sein Auge auf das Gesamtbild. Er entdeckt größere und kleinere Missstände, die weniger geschulten Spaziergängern entgehen. Bei größeren Reparaturen informiere er den Bautrupp mit seinen zwei Mitarbeitern. Kleinigkeiten versuche er selber zu beheben, manchmal auch größere Schäden. So übermalte er im vergangenen Jahr auf eigene Faust unansehnliche Graffiti an der Wand der Grundschule. Die Wandfarbe habe er noch übrig gehabt.
Viele auswärtige Ausflügler
Beim Weg durchs Dorf fällt Fleckensteins der leere Plexiglas-Spender an der Schlossmauer auf. Der enthält normalerweise Broschüren über den Wiesener Kulturwanderweg des Archäologischen Spessartprojekts. Die beliebten Faltblätter werde er noch vor dem Wochenende nachfüllen, wenn Spaziergänger von auswärts nach Wiesen strömen. Die Kartenspender seien eine der ersten Maßnahmen gewesen, die er 2004 als frisch gewählter Bürgermeister realisiert habe. Einfach, aber wirkungsvoll. Früher habe es die Karten nur auf dem Rathaus gegeben. Und das ist an den Wochenenden geschlossen. Seit es die Behältnisse gibt, sei die Nachfrage um ein Vielfaches nach oben geschnellt.
In diesem Pandemie-Jahr haben besonders viele Ausflügler die Schönheit Wiesens entdeckt, erzählt Fleckenstein beim Weitergehen - sichtlich stolz darauf, dass die Attraktivität seines Heimatorts auch von Auswärtigen geschätzt wird.
Weiter geht es über einen mit Gras bewachsenen Wanderweg, am Aubach entlang. Fleckenstein registriert den spröde gewordenen Handlauf der Holzbrücke über das Gewässer. Ein Schaden, der behoben werden muss, damit sich niemand Splitter zuzieht.
Gute Wasserqualität
Im Bach durchziehen Forellen flink das Gewässer. Der Bürgermeister ist zufrieden: Die munteren Fische seien ein Zeichen für die gute Wasserqualität im Ort. Allerdings habe der trockene Sommer dem Wasserstand zugesetzt. Der sei - trotz des Regens der vergangenen Monate - noch immer niedriger als in früheren Zeiten.
Weiter geht's an Gärten und Hühnergehegen vorbei. Am Dorfteich wirft Fleckenstein einen kritischen Blick in das Gewässer und auf die Wasseroberfläche, wo sich bereits viel Laub gesammelt hat. Der Herbst sei zwar schön, mache aber viel Arbeit. Zuviel Laub schade der Wasserqualität, daher müssten die Blätter regelmäßig entfernt werden. Das gelte auch für die Gully-Deckel am Straßenrand, die von Blattwerk verstopft werden. Eigentlich seien die Anwohner dafür zuständig, die Siebe regelmäßig zu leeren. Doch Fleckenstein weiß auch, dass insbesondere betagte Bürger gar nicht in der körperlichen Verfassung sind, die schweren Gullydeckel anzuheben und das Sieb zu leeren. Dann springe der Bauhof ein.
Im Gebüsch am Rande einer Picknick-Sitzgruppe entdeckt Fleckenstein eine leere Chips-Tüte. Er zieht sie aus dem Geäst und entsorgt sie im Abfallbehälter nahe dem Spielplatz. Die Kette des Eimerchens an der Pumpe am örtlichen Wasserspielplatz ist mittlerweile viel zu kurz, um noch Wasser aus dem Bach schöpfen zu können. Offenbar wird sie jedes Mal, wenn sie reißt, um einige Glieder gekürzt. Auch dies ein Detail auf Fleckensteins Liste, allerdings ein nicht ganz so brisantes, da die Pumpe in Kürze ohnehin abmontiert und über den Winter eingelagert wird.
Das Wasserwerk gehört ebenfalls zu den Stationen von Fleckensteins Rundgang. Im Inneren des kastenförmigen Gebäudes vergleicht er die handschriftlich notierten Daten des Wasserverbrauchs mit den aktuellen Werten auf der Anzeigeskala. Sind die Werte zu weit auseinander, liege möglicherweise ein Rohrbruch vor. Bereits vier Mal sind in diesem Jahr defekte Leitungen entdeckt worden, die dann rasch repariert werden mussten. Das Lokalisieren der defekten Stelle bedeute für ihn und sein Team eine Nachtschicht. Nur zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens, wenn der Verbrauch der Haushalte zum Erliegen kommt, ließen sich die defekten Stellen lokalisieren.
Farbenfrohe Tafelbilder
Fleckenstein prägt auch selbst das Ortsbild. An der zur Straße blickenden Garagenwand seines Anwesens in der Waldstraße hat der Bürgermeister vor Jahren eine alte Schultafel angebracht, die er regelmäßig mit farbenfrohen Kreidezeichnungen versieht. Oft zum Schulbeginn, aber auch zu Festtagen wie Ostern und Weihnachten. In diesen Herbsttagen hat er eine farbenfrohe Anleitung für die Halloween-Kinder gezeichnet, die an die Pandemiebestimmungen erinnern: Zwei Kürbisse, einer trägt einen Mundschutz. Die Bürger, vor allem Familien mit Kindern, erfreuen sich an den originellen Bildern und der Kreativität ihres Rathauschefs. »Viele sind schon gespannt, was als Nächstes kommt.« Das gilt offenbar auch für die Gemeinderäte, die ihm kürzlich sogar farbige Kreide schenkten. Demnächst erneuert werden muss die Treppe, die den Spielplatz an der Straße zum Bauhof mit dem höher gelegenen Bolzplatz verbindet, erklärt Fleckenstein beim Aufstieg. An den Stufen lösen sich bereits Holzteile. Zehn bis 15 Jahre halte so ein unbehandeltes hölzernes Bauwerk, dann ist Schluss.
Beliebter Treffpunkt für Jugend
Der Bereich zwischen Bolzplatz und Schule war in diesem Corona-Sommer der Lieblings-Treffpunkt der Jugend, berichtet Fleckenstein. Und nicht nur das. Ein beliebter Spazierweg führt ebenfalls hier vorbei. Und montags kommen die Kinder zum Unterricht. Dies führte in der Summe dazu, dass das Areal zu Fleckensteins Sorgenkindern gehört. Weil die Jugendlichen häufiger als sonst gefeiert haben, blieb auch mehr Müll liegen. Zwar habe er an der Überdachung, die bei Regen Schutz bietet, einen Extra-Müllbehälter anbringen lassen, doch nicht alle nutzen die Behälter. Besonders ärgert sich Fleckenstein über die Hersteller eines Apfelwein-Cola-Mixgetränks, das in Dosen ohne Pfand verkauft wird.
Damit sich keine Ausflügler bei ihren Sonntagsspaziergängen über die Hinterlassenschaft des Vorabends ärgern müssen, sei er in diesem Sommer sonntags regelmäßig extra früh aufgestanden, um die Party-Relikte wegzuräumen. Ausgestattet mit Müllsack und Handschuhen habe er leere Pizzakartons, Getränkepaletten, Dosen und Pfandflaschen aufgesammelt und entsorgt. Und das, bevor die Spaziergänger am Sonntag und die Schulkinder am Montag etwas bemerkten.
Mit dem Feiern draußen ist es mittlerweile weitgehend vorbei: Im Herbst und Winter verändern sich die Prioritäten. In den dunklen Jahreszeiten seien es defekte Straßenlampen, die bei abendlichen Rundgängen auffallen oder die von den Bürgern gemeldet werden. Hier hat Fleckenstein einen Tipp, denn mit der bloßen Standortbeschreibung könne die Gemeinde nichts anfangen. »Wichtig sei, dass die Bürger uns die Nummer mitteilen, die auf den Laternenmasten angebracht ist.« Diese werden dann dem Bayernwerk gemeldet, das den Austausch der Leuchtmittel oder die Schadensbehebung vornimmt.
Alexander Bruchlos (58) stammt aus Aschaffenburg und ist seit 1991 Main-Echo-Redakteur. In seiner Heimatstadt schätzt er die täglichen, meist abendlichen Spaziergänge, vor allem entlang des Mainufers. Für die Reihe 75 Orte interessierte ihn, wie ein Bürgermeister in einer kleinen Spessartgemeinde wie Wiesen seinen Ort wahrnimmt, auf was er achtet und was ihn bewegt.
Alle Folgen der Serie 75 Jahre -75 Orte im Internet: www.main-echo.de/ 75jahre-75orte







01.12.2020
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